Malerweg Nonstop 2014 – Der Schöne ist ein Biest

Pirna Liebethal, 28.6.2014, es ist kurz nach 4 Uhr in der Frühe, ich treffe Kersten, André, Ralf, Ulf und Uwe. Wir wollen den Malerweg laufen, einen Rundwanderweg durch die Sächsische Schweiz. Wir sind ihn alle schon in Etappen gelaufen, aber noch keiner von uns hat ihn nonstop versucht.

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Ausblick vom Papststein, km 83 (1)

Der Malerweg orientiert sich an historischen Reiserouten aus der Zeit, als die romantischen Maler das Elbsandsteingebirge entdeckten. Die Route führt über etliche Gipfel mit spektakulären Aussichtspunkten, das Höhenprofil der Strecke sieht aus wie das Blatt einer alten Säge. So kommen auf 115 Kilometern etwa 4000 Höhenmeter Anstieg zusammen. Man hat allerdings auch darauf geachtet, möglichst viele Gasthäuser an die beliebte Wanderroute anzuschließen, so dass eine reine Selbstversorgung ohne Verpflegungspunkte oder Begleitfahrzeug möglich ist. Wir brechen in der Morgendämmerung auf, weil wir versuchen wollen, maximal 18 Stunden später mit den letzten Sonnenstrahlen des Tages wieder in Pirna anzukommen. Ein straffer Zeitplan.

Schon im Voraus hat sich die Teilnehmerzahl um die Hälfte auf nur sechs Starter reduziert. Von denen sind drei - André, Ulf und Uwe - gerade mal eine Woche zuvor den Zugspitz Ultratrail gelaufen. Für Uwe, der anschließend krank wurde, war von vornherein klar, dass er heute nur ein Stückchen mitlaufen würde, um wenigstens dabei gewesen zu sein. Nach 15 km verabschiedet er sich. Kurz danach muss Kersten feststellen, dass ausgerechnet heute sein Knie nicht mitspielen will.

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Blick von der Bastei auf die Elbe (1)

Den Ausblick von der Bastei lässt er sich nicht entgehen, biegt an ihrem Fuß dann aber auf den Elberadweg Richtung Pirna ab. Tragisch, dass es ausgerechnet ihn trifft, weil der Malerweg-Nonstop im Wesentlichen sein Baby ist: er hat den Lauf geplant, die Leute eingeladen, einen GPS-Track erstellt, eine Roadmap mit Zwischenstationen und geschätzten Cut-Off-Zeiten, ein Höhenprofil und Startnummern vorbereitet und am Start verteilt. Für das Ziel hat er Überraschungen angekündigt.

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Startnummer, Roadmap und Höhenprofil: perfekt vorbereitet von Kersten (4)

Und jetzt muss er leider abbiegen. Er könnte sich nun in die Sonne legen und uns verbleibende Läufer unserem Schicksal überlassen, aber nein, er läuft zurück, holt sein Auto, geht einkaufen und sorgt ab dann für regelmäßige Verpflegungspunkte, die wir sonst selber hätten organisieren müssen. Großartig!

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Mobiler Verpflegungspunkt: Kerstens Auto (2)

Nach ungefähr 40 Kilometern, es ist mittlerweile so gegen 12 Uhr, wir sind zum ersten Mal ins Kirnitzschtal abgestiegen und wieder hinausgeklettert, ist die Reihe an Uwe, das Ziel vom ganzen Malerweg am Stück aufs nächste Mal zu verschieben. Er lässt uns ziehen und kündigt an, uns später an der Elbüberquerung in Schmilka zu erwarten. Da waren´s nur noch drei…

Was jetzt folgt ist nach meinem Geschmack der schönste Abschnitt des Malerwegs. Nach der ersten Passage des Kirnitzschtals schlängelt sich der Weg in wilden Windungen entlang der Schrammsteine und Affensteine. Hier stehen die bizarren Felsformationen dicht an dicht, immer wieder biegt man um die nächste Ecke und muss vor lauter Staunen aufpassen, dass man nicht den Hans-guck-in-die-Luft macht und sich einen bösen Sturz einhandelt. Dem Genuss zuträglich ist der angenehme Umstand, dass in diesem Abschnitt das dauernde Auf und Ab mal vorübergehend etwas milder verläuft.

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Jo auf den Schrammsteinen, km 41 (3)

Schon mit dem nächsten Abstieg ins Kirnitzschtal ist der Spaß dann aber vorbei und es beginnt der ernste Teil. Es folgen mehrere kleinere Gipfel (Kuhstall, kleines Pohlshorn) und noch zwei weitere Durchquerungen des tief eingeschnittenen Tals weiter flussaufwärts, bevor es zum finalen Anstieg auf rechtselbischer Seite zum Großen Winterberg hinaufgeht, mit knapp 560 m über NN der höchste Punkte der gesamten Route und zugleich des deutschen Teils des Elbsandsteingebirges.

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Ankunft am VP km 58, vorletzte Kirnitzschtaldurchquerung (2)

Von dort geht es dann am Stück mehr als 400 Höhenmeter steil bergab zurück an die Elbe, wo in Schmilka der nächste Verpflegungspunkt auf uns wartet. Doch vorher zeigt uns der Große Winterberg, wer hier der Chef ist. Genau in der Viertelstunde, die wir für den Abstieg brauchen, lässt er an seiner Bergflanke ein Sommergewitter tropischer Stärke abregnen. Innerhalb einer Minute hat sich der steile Pfad in einen Bach verwandelt und wir laufen in seinem Strom, denn das ist der einzige Weg hinab. Kaum unten angekommen, hört der Regen wieder auf, die Wolken verschwinden spurlos, die Sonne lacht wieder, als wäre nichts gewesen. Es ist, als ob der Große Winterberg mit uns gespielt hätte und sich jetzt schadenfroh über uns amüsiert.

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Elbüberquerung von Schmilka nach Schöna, km 68 (1)

Nach dem Auftanken der Trinkblasen, dem Auswringen der Klamotten und dem Ausleeren der Schuhe geht es per Fähre etwa bei km 68 über die Elbe nach Schöna, wo zum Aufwärmen gleich der nächste Aufstieg auf das Hochplateau über dem Elbtal wartet. Der anschließende Abschnitt von ungefähr 15 km ist zwar nur leicht wellig, aber Ralf verlassen die Kräfte. Er kämpft mit Übelkeit, braucht mehr Pausen, wird langsamer und kommt bei den Anstiegen immer schneller in einen kritischen Zustand. Ein paar Tage später schreibt er über Facebook: „So alle war ich selten wie am Samstag.“ Der Papststein gibt ihm schließlich den Rest, nichts geht mehr. Ulf sammelt ihn ein und bringt ihn zum Auto, so dass André und ich unbesorgt weiterlaufen können. Er wird ein Stück mit dem Auto mitfahren, sich etwas erholen und dann nochmal laufen, weil er unbedingt die 100 km an diesem Tag vollmachen will, was ihm auch gelingen soll.

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Ralf klettert auf die Schrammsteine, hier ist noch alles gut, km 41 (3)

Es folgen Gohrisch, Pfaffenstein, der Abstieg nach Königstein, der Aufstieg zur Festung und ein eigentlich nicht mehr so schwieriger Abschnitt über den Rauenstein zurück an die Elbe in Wehlen. Doch ich merke allmählich auch, wie es mühsamer wird. Runter nach Königstein kann ich noch Gas geben, Kersten und Ulf sind überrascht, wie schnell wir hier ankommen. Doch mit dem nächsten Aufstieg fängt die Erschöpfung an, sich langsam aber sicher richtig breit zu machen. Mit dem Schwinden der körperlichen und geistigen Kräfte tauchen immer häufigere und immer lebhaftere Erinnerungsbilder von meinen früheren Läufen auf dem Malerweg auf, die alle schon zwei, drei Jahre zurückliegen. Oft sehe ich schon ein paar Augenblicke vorher, was hinter der nächsten Biegung auftauchen wird. Damit kann ich mich noch eine Weile unterhalten und ablenken, aber der Punkt, wo es richtig zäh wird, kommt schließlich doch.

Der letzte Abstieg nach Obervogelgesang tut jetzt weh. Die Sonne ist untergegangen, wir laufen mit Lampe. Schon in den letzten beiden Stunden haben wir uns immer wieder damit motiviert, dass jetzt ja nur noch 5 flache Kilometer Elberadweg bis Pirna vor uns liegen, die quasi gar nicht mehr zählen und sich ganz von selbst laufen. Kersten und Ulf schließen sich uns für diese letzte kleine Etappe wieder an. Ich beiße die Zähne zusammen und versuche, an André dranzubleiben, der jetzt deutlich beschleunigt. Er war trotz Zugspitz-Ultra am vergangenen Wochenende heute den ganzen Tag lang nicht kaputtzukriegen, immer vorneweg, immer ungeduldig, wie ein Hund, der ständig an der Leine zieht, weil es nicht schnell genug geht. Phänomenal!

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André, Läufer des Tages, bei km 41 (3)

Als dann wider Erwarten 2 km vor dem Ziel doch noch mal der Elberadweg verlassen werden soll, um die 50 Höhenmeter zum Schloss rauf und wieder runter zu laufen, sinkt mir der Mut. Blöd, wenn man zu genaue und dann auch noch falsche Erwartungen hat! Ich wandere, humpele die letzten Treppenstufen runter in die Pirnaer Altstadt und bin punktgenau im Ziel endgültig am Ende. Ein kleines bisschen Energie muss aber doch noch übriggeblieben sein, denn ich kann mich noch freuen: Wir sind den ganzen Malerweg gelaufen. In einem Rutsch! Davon habe ich schon lange geträumt!

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Urkunde und Medaille, dazu gibts noch weitere Souvenirs vom Malerweg, die Kersten im Vorhinein besorgt hat (4)

Ein riesengroßes Dankeschön an Kersten für die Planung und die ungeplante Begleitung dieses herrlichen Laufs. Außerdem an André, Ralf und Ulf fürs miteinander Laufen, es hat großen Spaß gemacht mit Euch!

Epilog: Ich schreibe hier jetzt fast eine Woche nach dem Lauf und merke: Ich zehre immer noch davon. Es ist einfach herrlich, so eine wunderschöne Landschaft zu Fuß zu durchstreifen. Die Eindrücke davon sind besonders intensiv, wahrscheinlich weil der Einsatz so hoch war, sie zu erleben.
Ein angenehm zufriedener und gelassener Zustand glüht selbst jetzt noch nach. Das gibt es nur nach Läufen, in denen man sich über Stunden außerhalb der Komfortzone bewegt hat. Das ist zumindest meine persönliche Erfahrung, die sich hier einmal mehr bestätigt hat.

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Fakten, Quellen und Verweise:

Ich habe aufgezeichnet: 116 km, 4200 HM Anstieg, 18:50 h Dauer, davon ca. 2,5 h Pausenzeiten (Garmin Dakota 20).

Veranstalter: Kersten Leich

Offizielle Website Tourismusverband Sächsische Schweiz: Malerweg

Mein GPS-Track vom 28.6.2014: auf gpsies.com

Fotos: (1) Ulf, (2) Kersten, (3) André, (4) Jo

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joohneschuh
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